Diese Angelegenheit wurde bereits behandelt im
Jugendhilfeausschuss am 10.06.2021, TOP 8ö
Das Kinder– und Jugendhilferecht im
Sozialgesetzbuch-Achtes Buch (SGB VIII) wurde durch das Gesetz zur Stärkung von
Kinder und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) vom
03.06.2021 fachlich reformiert.
Durch das KJSG ergibt sich eine
Stärkung der Rechtsstellung von jungen Menschen und Eltern. Der thematische
Fokus liegt insbesondere auf folgenden Schwerpunkten, die nachfolgend kurz
skizziert werden:
Schützen -
Besserer Kinder- und Jugendschutz
Die Zusammenarbeit im Kinderschutz
soll optimiert werden. Es wird beispielsweise eine engere Kommunikation
zwischen Ärztinnen/Ärzten und dem Jugendamt ermöglicht und Fachkräfte, die das
Jugendamt über gewichtige Anhaltspunkte für eine Kinderwohlgefährdung
informieren, sollen eine Rückmeldung dazu erhalten. Künftig werden
Schutzkonzepte für Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien entwickelt und
angewandt. Die Heimaufsicht wird verschärft, sie kann Einrichtungen auch ohne
konkreten Anlass kontrollieren und wird damit wirkungsvoller. Auslandsmaßnahmen
werden auch vor Ort kontrolliert. Wenn die gesetzlichen Anforderungen nicht
eingehalten werden, wird die Maßnahme unverzüglich beendet. Der Austausch der Behörden
soll verbessert werden. Zudem ändern sich die Anforderungen in
Betriebserlaubnisverfahren bzw. werden um weitere Kriterien ergänzt.
Stärken -
Stärkung von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien und Einrichtungen der
Erziehungshilfe
Die Situation für junge Menschen nach
Volljährigkeit wird verbessert. Sogenannte „Careleaver“ werden besser begleitet
und können bei Schwierigkeiten in die Kinder- und Jugendhilfe zurückkehren. Die
bis 31.12.2022 gültige Regelung zur Kostenbeteiligung, wonach junge Menschen bis zu 25 Prozent ihres Einkommens aus
Ausbildung oder anderen Tätigkeiten an das Jugendamt abgeben mussten, wenn sie
in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe oder in einer Pflegefamilie
leben, wurde zum 01.01.2023 abgeschafft.
Werden Hilfen außerhalb des
Elternhauses gewährt, haben Eltern nach § 37 SGB VIII einen Rechtsanspruch auf
Unterstützung und Förderung der Beziehung zum Kind. Auch die Zusammenarbeit der
Eltern mit den Pflegeeltern wird durch den neu eingeführten § 37a SGB VIII
verbindlicher gefördert.
Helfen -
Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen
Kinder- und Jugendhilfe soll künftig
inklusiv gestaltet werden. Die Umsetzung soll schrittweise erfolgen. Zunächst
sollen ab dem 01.01.2024 die sogenannten Verfahrenslotsen ihre Arbeit aufnehmen
(vgl. § 10 b SGB VIII). Das Jugendamt soll Eltern von Kindern mit
Behinderungen durch die Verfahren der unterschiedlichen Leistungssysteme
lotsen: Sie bekommen im Jugendamt eine verlässliche Ansprechperson, die sie
begleitet. Hierdurch sollen Familien, die für ihre Kinder Unterstützung und
Hilfen beantragen, entlastet werden. Das Tätigkeits- und Anforderungsprofil des
Verfahrenslotsen wurde erst kürzlich auf der gesamtbayerischen
Jugendamtsleitertagung Ende April 2023 vorgestellt und wird durch eine
Handlungsempfehlung des Bayerischen Landesjugendamtes noch ergänzt.
Ab dem 01.01.2028 ist das Jugendamt
für alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderungen zuständig (vgl. §§
10, 10 a SGB VIII). Diese „inklusive Lösung“ muss allerdings noch durch ein
Bundesgesetz geregelt werden.
Unterstützen -
Mehr Prävention vor Ort
In Notsituationen haben Eltern einen
Anspruch auf Unterstützung bei der Betreuung und Versorgung des im Haushalt
lebenden Kindes, wenn der Elternteil, der die Betreuung überwiegend
sicherstellt, ausfällt und das Wohl des Kindes nicht anderweitig gewährleistet
werden kann. Diese Unterstützung soll niedrigschwellig zur Verfügung gestellt
werden und sich nach dem Bedarf im Einzelfall richten.
Beteiligen -
Mehr Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien
Unabhängige Ombudsstellen werden
gesetzlich verankert. Sie beraten die Familien bei Streitfragen und klären
Konflikte mit dem Jugendamt. Kinder und Jugendliche in Einrichtungen der
Erziehungshilfe bekommen die Möglichkeit, sich bei externen Stellen zu
beschweren. Das gilt auch für Pflegekinder in Familien. Kinder, Jugendliche und
Eltern sollen bei Inobhutnahmen besser informiert und aufgeklärt werden. Ferner
erhalten Kinder und Jugendliche einen eigenen Beratungsanspruch, ohne die
Eltern. Die Fachkraft im Jugendamt muss dafür nicht mehr prüfen, ob eine Not-
oder Krisenlage vorliegt. Die öffentliche Jugendhilfe soll zudem
selbstorganisierte Zusammenschlüsse von z.B. Leistungsberechtigten oder Interessenverbänden
anregen und fördern.
Aktueller Umsetzungsstand
Im Kreisjugendamt Ebersberg werden
die zur Umsetzung der SGB VIII-Reform erforderlichen Handlungsbedarfe in den
jeweils zuständigen Fachgebieten laufend geprüft. Handlungsnotwendigkeiten
werden priorisiert und sukzessive umgesetzt. Darüber hinaus tauschen sich die
Leitungen der oberbayerischen und gesamtbayerischen Jugendämter kontinuierlich
zu den Themen aus.
Zudem wurden erste Maßnahmen aus der
SGB-VIII Reform umgesetzt:
·
bereits vor Einführung der SGB
VIII-Reform wurden junge Menschen nach Vollendung ihrer Volljährigkeit nach den
neuen gesetzlichen Vorgaben versorgt. Die bis 31.12.2022 gültige Regelung zur
Kostenbeteiligung wurde zum 01.01.2023 abgeschafft.
·
01.03.2021 - Förderung
der Ombudsstelle durch das Bayerische Landesjugendamt im Rahmen eines
Modellprojekts:
Die Ombudsstelle ist mit Ausnahme des Landkreises München für alle
oberbayerischen Jugendämter zuständig. Organisatorisch ist die Ombudsstelle an
die Sozialen Dienste des Diakonischen Werks Rosenheim angebunden. Dadurch soll
eine Unabhängigkeit von den trägereigenen Jugendhilfeangeboten, die in der
Marke „Jugendhilfe Oberbayern“ organisiert sind, sichergestellt sein.
·
Juni 2021 - Erstellung und Einsatz
eines Schutzkonzepts für Kinder und Jugendliche in Pflegefamilien:
Das vom Kreisjugendamt
Ebersberg entwickelte Konzept dient der Region 18 (Zusammenschluss der
Jugendämter Altötting, Berchtesgadener Land, Miesbach, Mühldorf, Rosenheim
Stadt und Land sowie Traunstein) seither „als Blaupause“ für die Erstellung
eigener Konzepte.
·
Juli 2021 - Abschluss neuer
Kinderschutzvereinbarungen gemäß § 8a SGB VIII mit allen
Kindertagespflegepersonen
·
seit Mitte 2021 erhalten Eltern,
deren Kinder in Pflegefamilien untergebracht sind, auch in anderen
Jugendamtsbezirken Beratungsleistungen nach § 37a SGB VIII. Daneben werden den
Pflegeeltern seit jeher umfassende Beratungsleistungen, Supervisions- und
Fortbildungsmöglichkeiten sowie gemeinschaftliche Veranstaltungen angeboten.
·
hinsichtlich des gesetzlich
vorgesehenen Verfahrenslotsen besteht ein enger Austausch zur Stadt und dem
Landkreis Rosenheim, die als Modellregion bereits über einen Verfahrenslotsen
verfügen. Sofern der Kreistag der beabsichtigten Stellenmehrung zustimmt, kann
der Verfahrenslotse im kommenden Jahr seinen gesetzlichen Auftrag im Kreisjugendamt
Ebersberg aufnehmen.
Fazit
Als Fazit lässt sich festhalten, dass
die im Rahmen der SGB VIII-Reform vorgenommenen Anpassungen an vielen Stellen
zielführend und zeitgemäß erscheinen. Die mit der Gesetzesanpassung angestoßene
Weiterentwicklung der Jugendhilfe in Richtung einer einheitlichen (inklusiven)
Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für alle jungen Menschen, aber auch
Elemente wie die Stärkung von Beteiligung und Selbstbestimmung, die Etablierung
von Ombuds- und Selbstorganisationsstrukturen, die Fokussierung von Schnittstellen
und Übergängen und auch ein moderneres Familienbild stellen wichtige Grundlagen
für die zukünftige Praxis dar. Für die Jugendhilfe im Landkreis Ebersberg gilt,
dass viele der neu justierten Regelungen bereits in der Vergangenheit Anwendung
gefunden haben. Gleichwohl ist zu erwarten, dass die Weiterentwicklung
einzelner Aufgaben in der Praxis (z.B. bei der Einführung von Verfahrenslotsen
und bei der Realisierung der „inklusiven Lösung“) entsprechender Ressourcen
bedarf.
Dem Jugendhilfeausschuss wird folgender Beschluss vorgeschlagen:
Der Bericht
über die SGB VIII-Reform sowie der aktuelle Planungs- und Umsetzungsstand zu
den daraus resultierenden Änderungen werden zu Kenntnis genommen.
Auswirkung auf den Haushalt:
Die im Gesetzentwurf prognostizierten finanziellen
Mehrbedarfe in Höhe von 113,8 Mio. Euro
für Länder und Kommunen entsprechen den Ergebnissen
der Arbeitsgruppe „Quantifizierung und Statistik“ im Beteiligungsprozess 2019, dürften
aber nach Einschätzung des Deutschen Landkreistages und der kommunalen Praxis
im Ergebnis erheblich höher ausfallen. Der Deutsche Landkreis geht in einem
Schreiben vom 15.02.2021 davon aus, dass Mehrkosten von mindestens 200 Mio.
Euro pro Jahr für Länder und Kommunen anfallen. Die durch die vielfältigen
Änderungen im SGB VIII steigenden Anforderungen an Beratung, Koordinierung und
Vernetzung werden überdies erhebliche Auswirkungen auf die Fallzahlen und die
Personalbemessung in der Jugendhilfe haben. Dazu kommen umfangreiche neue
Komplexanforderungen auf die Fachkräfte zu. Auch Anforderungen an die Aus- und
Fortbildung sind nicht zu vernachlässigen. Damit diese Mehrkosten von den
Ländern ausgeglichen werden können, forderte der Deutsche Landkreistag den Bund
dazu auf, einen Finanzierungsweg zu finden, wie die Länder in dieser Höhe
entlastet werden. Alternativ müsse nach Auffassung des Deutschen Landkreistages
ein Weg gefunden werden, wie der Bund die Kommunen in entsprechender Höhe
entlastet.
Dies gilt in besonderem Maße, weil mit der
spätestens 2028 in Kraft tretenden Gesamtzuständigkeit der Kinder- und
Jugendhilfe auch für Kinder und Jugendliche mit Behinderung weitere finanzielle
Belastungen, die noch nicht zu beziffern sind, auf die Landkreise zukommen
werden. Hinzu treten finanzielle Verschiebungen innerhalb der Länder, da die
Zuständigkeit für Kinder und Jugendliche mit Behinderung z.B. in Bayern auf
Bezirks- und Kommunalebene organisiert ist.
Viele Weichenstellungen, z. B. bei den verbesserten Angeboten
für junge Erwachsene nach dem Verlassen der stationären Jugendhilfe, der
Reduktion der Kostenheranziehung, der Ausbau der Beratungsstrukturen und die
Inklusion in der Kinder- und Jugendhilfe werden unmittelbar zu einem Anstieg
der Ausgaben in den Hilfen zur Erziehung und zu Personalmehrungen führen. Zur
Realisierung der verbesserten Beratungs- und Unterstützungsangebote werden die
Planungs- und Beratungsleistungen sowie gesetzlich verpflichtende
Fortbildungen intensiviert werden müssen. Die kommunalen Spitzenverbände haben daher zu Recht einen vollständigen Ausgleich der
kommunalen Mehrbelastungen gefordert.